Verspüren Sie eine innere Aufregung, wenn Sie wissen, dass Sie am Abend eine Aufführung erwartet? Und wie ist das Gefühl, wenn es eine von den Klängen der Musik durchdrungene Veranstaltung ist? Genau dieses Gefühl ruft bei vielen das Staatliche Musiktheater Kaunas hervor, wo die professionelle litauische Theaterkunst – Drama, Oper, Ballett – geboren wurde und sich während der Unabhängigkeit Litauens in der Zwischenkriegszeit erfolgreich entwickelte.

Beschreibung

Ende des 19. Jahrhunderts war die Stadt Kaunas das Zentrum einer der westlichen Provinzen des Russischen Reiches. 1891 hat die Stadtregierung den Beschluss gefasst, dass in der Stadt ein Theatergebäude gebaut werden sollte, welches den Kulturbedürfnissen einer kleinen Provizstadt (wie dem damaligen Kaunas) entspricht. Es dauerte ein Jahr, das neue Gebäude nach dem Entwurf des Archtitekten Ustinas Golinevičius zu erbauen. Das Theatergebäude ähnelte dem Stil der Neorenaissance, der damals in der Architektur der Paläste und der Repräsentanzgebäude typisch war. Das zweistöckige Gebäude hatte einen viereckigen Saal mit 500 Sitzplätzen und zwei Rängen, zwei Foyers und Nebenräume. Dem Gouverneur von Kaunas und dem Kommandanten der Festung waren spezielle Logen eingerichtet. Der Bauunternehmer war der Kaufmann G. Puškanceris aus Kaunas. Die feierliche Eröffnung des Theaters fand am 9. Januar 1892 statt.

Das Theatergebäude befindet sich ein Stück weiter von der Laisvės alėja – der „Allee der Freiheit“ hinter einer gemütlichen Gartenanlage, in der Dankmäler für die berühmten litausischen Komponisten Mikas Petrauskas (Bildhauer Konstantinas Bogdanas, 1984), Česlovas Sasnauskas (Bildhauer Antanas Aleksandravičius, 1925), Juozas Gruodis (Bildhauer Konstantinas Bogdanas, 1984), Kipras Petrauskas (Bildhauer Leonas Strioga, 1986), Stasys Šimkus (Bildhauer M. Šnipas, 1987). Am Rand des Theatergartens befinden sich die Reste der Stadtmauer und des Turmes, die 1670–1680 gebaut wurden. Bis 1833 gab es an diesem Ort einen katholischen Friedhof.

Während der deutschen Besetzung (1916) wurde die Theaterbühne vergrößert und die Zimmer der Schauspieler wurden verbessert. Als Kaunas am 15. Mai 1920 zur provisorischen Hauptstadt Litauens erklärt wurde, wurde das Theatergebäude zum Sitz des Konstituierenden Seimas (Parlament). 

1922–1925 hat die Regierung Litauens für die Rekonstruktion des Gebäudes die finanziellen Mittel bereitgestellt. Es wurde eine Kommission zur Kontrolle der Rekonstruktionsarbeiten gebildet, die den Entwurf und die Überwachung der Rekonstruktionsarbeiten den berühmtesten Architekten der damaligen Zeit anvertraut hat: Mykolas Songaila und Vladimiras Dubeneckis. Unterstützt wurden sie vom Konstrukteur P. Morkūnas. Das modernisierte Außere des Gebäudes erhielt Züge des Neobarock. Der Zuschauersaal im Inneren wurde auf 763 Sitzplätze erweitert und erhielt die Form eines Hufeisens, einen dritten Rang und eine zentrale Loge. Außerdem wurde ein Orchestergraben angelegt. Bei der Rekonstruktion wurde der Akustik im Saal besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sie wurde später von allen berühmten Musikern, die hier auftraten, positiv bewertet. Dem Architekten V. Dubeneckis gelang es, im Inneren zwei Kunstrichtungen zu vereinen: die Formen der Volkskunst und die monumentale Architektur. Er stilisierte die nationalen Motive von Tulpen, Lilien und Gänseblümchen im damals beliebten art deco Stil.

Unter der Leitung des Architekten Vytautas Landsbergis-Žemkalnis wurde das Theatergebäude 1930–1933 erneut rekonstruiert – man baute zwei zweistöckige Seitenbauten: den östlichen und den westlichen, in denen sich Dekorationswerkstätten, eine Näherei und Lagerräume befanden. Die Bühne wurde angehoben, die Foyers auf beiden Etagen wurden erweitert, auf der Bühne wurde ein Rollhorizont aus Stoff installiert, neue Möbel und Treppengeländer aus der Eiche wurden angefertigt, eine eiserne Vorhang mit automatischer Wasserabkühlung wurde installiert. Dank diesem Wasserkühlungssystem ist es gelungen, während des Brandes im Jahr 1931 das Gebäude vor der Vernichtung zu retten. Typisch für diese Rekonstruktionen ist die eigentümliche Suche nach einem nationalen Stil. Die nächsten fünfzig Jahre wurde das Gebäude ohne Veränderungen genutzt.

1980–1984 wurde das Theater wieder restauriert: im Untergeschoß wurde die Garderobe eingerichtet, im östlichen Hinterhof wurde ein Probensaal errichtet, die Bühnenausstattung wurde verbessert, das von V. Dubeneckis geschaffene Interieur wurde auch erneuert. Das dem Publikum gewidmete Foye ist mit Gemälden der gegenwärtigen litauischen Künstler Antanas Martinaitis, Ričardas Vaitekūnas, den Keramikpanneaus von Stasys und Teresė Petraičiai, der Tapisserie von Birutė Vaitiekūnienė sowie den Skulpturen des Bildhauers Leonas Strioga geschmückt. 

Im Jahre 2007 wurde mit der Rekonstruktion des Musiktheaters begonnen. Damals wurden die Hilfsräumlichkeiten in Ordnung gebracht: die Werkstätten der Dekorationsherstellung, die Künstlerräume, das Requisitenlager, die Näherei, ein neues und modern eingerichtetes Ballettstudio mit vierschichtigem Schwingboden und einer speziellen Linoleumbeschichtung. Die renovierten Theaterräume wurden mit einem Luftungssystem und einer Brandmeldeanlage ausgestatten, die das Theater zuvor nicht hatte. Heizungs- und Abwassersysteme wurden ebenfalls erneuert. Die rekonstruierte und modernisierte Theaterbühne erfüllt die modernen Anforderungen der Theaterkunst der Gegenwart.

Am 15. Mai 1920 fand im Theatergebäude die erste Sitzung des Konstituierenden Seimas (Parlamentes) statt. Das Theater wurde besonders von Präsident A. Smatona verehrt. Er besuchte die Vorstellungen mindestens einmal pro Woche, verfolgte fast alle Uraufführungen. Auch der vorherige Präsident Litauens, Aleksandras Stulginskis, besuchte hier gern die Oper. 

In der Mitte der 20er-Jahre des 21. Jahrhunderts erhielt das ehemalige Stadttheater den Status eines Staatstheaters. Hier wurden die ersten Opern, Dramen und Ballette des unabhängigen Litauen uraufgeführt. 

Das Theater hatte keine fest angestellten Schauspieler. Die Theaterstücke wurden von Gastkünstlern aufgeführt. Die späteren Rekonstruktionen und Zusatzgebäude des Theaters haben die authentische Fassade des Gebäudes verborgen, aber im Innern des Gebäudes kann man die Überreste des ehemaligen Theaters erkennen. Nach der Veröffentlichung der Toleranzakte des Zaren im Jahre 1904, fanden im Theater die ersten Aufführungen statt. Auch die litauischen, polnischen, jüdischen und deutschen Gemeinden durften Abendveranstaltungen geben. Im Jahre 1905 fand der erste litauische Abend des Vereins „Daina“ statt, auf dessen Initiative das Theaterstück „Amerika pirtyje“ (dt. „Amerika in der Sauna“) von A. Vilkutaitis Keturakis aufgeführt wurde.

Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Litauens im Jahre 1990 blieb das Musiktheater seiner langjährigen Tradition treu, Aufführungen aller musikalischen Genres zu veranstalten.

Die meisten Kunstwerke des Theaters aus der Vorkriegszeit sind leider verloren gegangen, ein kleiner Teil der Möbel befindet sich heute im Litauischen Museum für Theater, Musik und Film. Geblieben sind nur zwei Spiegel und das Gemälde „Vor der Generalprobe“ aus der frühen Schaffensperiode von Vytautas Kasiulis. Letzteres ist von beeindruckender Größe, worauf das Theater besonders stolz ist. Das Theater bietet regelmäßig neue Aufführungen und wartet auf Zuschauer.