Eines der tragischsten Ereignisse der litauischen Geschichte ist das Massaker im Wald von Rainiai am 22.-28. Juni 1941. Die Soldaten der sich zurückziehenden Sowjetarmee haben mit Hilfe lokaler Kollaborateure in der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 75 politische Häftlinge aus im Gefängnis von Telšiai auf sadistische Weise getötet. Es waren Lehrer, Schüler, Bauern, Handwerker, Beamte, Arbeiter aus Telšiai, Plungė und Kretinga, deren größte „Schuld“ die Liebe zu ihrem Heimatland und der Widerstand gegen die Besatzungsmacht gewesen ist.

Beschreibung

Dies ist wahrscheinlich das einzige Massaker in Litauen, zu dem es keinen einzigen überlebenden Zeugen gab. Nur die Täter konnten bezeugen. 1940, nachdem die Sowjets Litauen besetzt haben, wurde in Telšiai ein Gefängniss für antisowjetisch eingestellten Niederlitauer eingerichtet. Verhaftet wurden die Menschen für die Zugehörigkeit zu einer  „staatsfeindlichen Partei“, für die antisowjetische Agitation, für Waffenbesitz, für das Hissen der litauischen Nationalflagge, für das Verteilen antisowjetischer Faltblätter, für die „Verleumdung“ der Sowjetregierung, für einen Versuch die Grenze der UdSSR zu Deutschland zu überqueren usw. Die meisten Verhafteten waren Pädagogen, ihre Schüler und Studenten, lokale Intelligente, wohlhabende Landwirte. Sie wurden verhört und gefoltert. 

Das Gefängnis war bis zum 24. Juni 1941 im Betrieb. Mitarbeiter des NKWD trieben die 75 politischen Häftlinge aus ihren Zellen. Damit niemand ihre Hilferufe hören konnte, standen draußen fünf Lastkraftwagen mit laufenden Motoren. Die Häftlinge wurden an den Händen gefesselt, geknebelt, danach alle auf die Lastkraftwagen verfrachtet und in den Rainiai-Wald gefahren, wo bereits vier Gruben auf sie warteten, neben denen die Nachtexekution begann. Am Morgen wurden die Verurteilten hastig begraben. Bei einer späteren Ausgrabung der vier Gruben durch Einheimische, wurden alle 75 Leichen der politischen Häftlinge gefunden. Nur 10 von ihnen wurden erschossen. Die Überreste von 46 Personen wurden aufgrund ihrer Verletzungen nicht identifiziert werden. Die 65 gefolterten Häftlinge wurden gemeinsam in einem Grab am alten Friedhof von Telšiai und die übrigen 10 in Familiengräben beigesetzt. 

Zu Beginn der zweiten Sowjetbesatzung wurde die Kapelle zu Beginn der Bauarbeiten abgerissen, der Wald-Rainiai wurde abgeholzt. Man wollte die Menschen die grausame Tragödie und die Täter vergessen lassen. Die Qualen der Opfer von Rainiai sind jedoch für immer in der Erinnerung der Menschen geblieben. Häufig geschah es, dass es am Ort des Massakers an jenem frühen Junimorgen für kurze Zeit Kreuze entstanden oder die Flagge des unabhängigen Litauens flatterte. 

Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit 1989 begann die niederlitauische Kulturgesellschaft für die Verewigung des Gedenkens an die Märtyrer von Rainiai zu sorgen. Am 24. Juni wurde das erste Denkmal der Tragödie von Rainiai enthüllt. Menschen aus ganz Litauen nahmen daran teil. Nach der Hl. Messe in der Kathedrale von Telšiai, einer Versammlung am Gebäude des ehemaligen Gefängnisses, nach der Enthüllung der Gedenktafel zog ein Menschenmeer mit Kerzen in den Händen bis zum Ort des Massakers im Wald Rainiai, wo der Grundstein der zukünftigen Kapelle geweiht wurde.

1991 wurde im Dorf Rainiai des Bezirkes Telšiai, 5 km südöstlich in Richtung Telšiai, an der Straße 160 (Telšiai–Varniai–Laukuva) eine Leidenskapelle gebaut und ein Eichenwald zum Gedenken angepflanzt. Im Keller der Leidenskapelle von Rainiai befindet sich eine Ausstellung, die über diesen schmerzhaften Verlust berichtet. Laut J. Virakas, hat A. Žebrauskas, Architekt des Bezirks Telšiai , die Skizzen zum Entwurf der Kapelle gezeichnet. Man beschloss, die Kapelle in Rainiai zu errichten, weil es auf dem Friedhof von Telšiai keinen Platz mehr gab. 

Im Jahre 1991, zum 50. Jahrestag r Ermordung der Märtyrer, wurde eine Gedenkstätte eingerichtet, die Kapelle von Rainiai wurde geweiht. Die Gedenkstätte verewigte das Gedenken an alle Opfer des Sowjetterrors. Im Inneren der Kapelle dominiert die weiße Farbe, die Decke und die Wände sind mit Fresken von Antanas Kmieliauskas dekoriert, in denen die Märtyrer von Rainiai, Exilanten aus Sibirien und Partisanen dargestellt sind. All diese Abbildungen verflechten sich mit dem Leiden Christi und seiner Mutter. Der Künstler Antanas Kmieliauskas schrieb in seinen Memoiren: „Beim Malen der Fresken in der Kapelle von Rainiai dachte ich lange Zeit darüber nach, wie das Leiden darzustellen sei. Nicht nur das von Rainiai, sondern auch das der ganzen Nation. Wie ist das Rätsel des Bösen zu lösen? Gab es keinen anderen Weg für Gott, die Menschheit zu retten, als den eigenen Sohn zu kreuzigen? Hätte Litauen den grausamen Erfahrungen des Krieges und der Nachkriegszeiten nicht ausweichen können? Deshalb habe ich eine Parallele geschaffen: Im Zentrum habe ich das Leiden Christi gezeichnet, an den Seiten – das Leiden der Litauer, von Dutzenden niederlitauischen Märtyrern, denen das Schicksal solch einen schrecklichen Tod einige Hundert Meter von der Kapelle entfernt vorgesehen hat. Damit alles nicht so grausam aussieht und in den Wolken zerfließt, entschied ich mich für helle Farben.“

In der Mitte der Kapelle befindet sich ein weißes Marmorkreuz, das vom Bildhauer R. Midvikis geschnitzt wurde. Drei weitere Kreuze aus Holz in den Farben der Nationalflagge stehen unterwegs. Die Kreuze wurden von den Einheimischen geschnitzt und kurz nach dem Massaker aufgestellt. Nach dem Kriege wurden sie von Sowjets im Teich von Viešvėnai versenkt. Erst kürzlich, nachdem das Teichwasser abgelassen wurde, wurden die Kreuze gefunden, lackiert und wiederaufgestellt.   

Die dominierende weiße Farbe vor dem Hintergrund der Farbglasfenster wird mit der niederlitauischen Trauerfarbe in Zusammenhang gebracht. Das Leiden wird durch Andeutungen ausgedrückt: rote Bluttropfen, Folterinstrumente – Nägel, Zangen, Stacheldraht – symbolisieren das Konzentrationslager. Der Farbglaskünstler A. Dovydėnas hat die Tiefe der Tragödie und des Leidens des Volkes mit hellen und feinen Farben dargestellt, und dabei seine eigenen Erinnerungen an das Exil in Sibirien enthüllt.

Im Turm der Kapelle stehen vier vom Bildhauer R. Midvikis geschaffene Kupferskulpturen der Märtyrer mit ausgestreckten und gefesselten Armen, als ob sie gekreuzigt wären. 

1994 wurden der Architekt Algirdas Žebrauskas, der Künstler Antanas Kmieliauskas, der Farbglaskünstler Algis Dovydėnas, der Bildhauer Remigijus Midvikis für ihr Werk an der Gedenkstätte Rainiai mit dem Nationalpreis für Kunst und Kultur der Republik Litauen ausgezeichnet. Die Kapelle wird jeden Sonntagmorgen geöffnet. Dann findet hier ein Gottesdienst statt, zu dem sich die Menschen aus den Dörfern Rainiai und Viešvėnai versammeln. Auch Gläubige aus Telšiai reisen an. Gedenkfeiern finden zum Jahrestag des Massakers von Rainiai statt, der auch mit dem Johannisfest zusammenfällt. Wenn Sie die Kapelle zu einem anderen Zeitpunkt besuchen oder an einer Führung teilnehmen möchten, müssen Sie sich an die Mitarbeiter des Niederlitauischen Museums „Alka“ wenden.