Das Heiligtum von Žemaičių Kalvarija ist einer der heiligsten Orte Litauens, der mit einem außergewöhnlichen Geist gesegnet ist. Im Heiligtum von Žemaičių Kalvarija gibt es die Basilika der Heimsuchung der Hl. Jungfrau Maria, 20 Kapellen des Kreuzweges und das ehemalige Dominikanerkloster. Der Ort ist Teil des Pilgerweges von Papst Johannes Paul II, deswegen ist er auch zu einem wichtigen Pilgerzentrum geworden.

Beschreibung

Bischof Jurgis Tiškevičius, der die Diözese von Samogitia 1633–1649 geleitet hat, gilt als Gründer des Leidensweges. Es ist unbekannt, wann die ersten Kapellen entstanden sind. Es ist möglich, dass der Bischof, während er die Dominikaner einlud, sich in Gardai anzusiedeln, von Papst Urban XVIII. die Kirchweih für sechs Kalvarienbergkapellen erhielt: für die Kapelle des letzten Abendmahls, des Ölberges, der Nagelung Jesu an das Kreuz, der Krönung mit Dornen, der Kreuzigung und der Beerdigung Christi. Damals funktionierte der Kalvarienberg teilweise. Es wird vermutet, dass 1640 alle Kapellen, die man dort auch heute sieht, bereits erbaut waren. Es wird bezeugt, dass Bischof J. Tiškevičius persönlich die passenden Hügel und Stellen ausgewählt hat, an denen die Kapellen entstehen sollten. Er hat auch von einem Ort zum anderen die Schritte gezählt, damit die Schrittzahl den auf dem Leidensweg Jesu entspricht. Beim erstmaligen Gehen hat der Bischof, indem er an mehreren Stellen niederkniete, den Leidensweg mit Erde aus Jerusalem bestreut. Um Gardai bekannt zu machen, hat er das Städtchen Neu-Jerusalem genannt. Leider wurde der neue Name nicht allgemein akzeptiert, und so begannen die Menschen den Ort Žemaičių Kalvarija zu nennen.

Die Tradition des Betens während eines Besuches des Leidensweges am niederlitauischen Kalvarienweg in Žemaičių Kalvarija hat sich unter dem Einfluss der Dominikaner herausgebildet. Ein Dominikaner verfasste die Gebete und Gesänge, die dem Gedenken des Leidens Christi gewidmet waren. Man begann damit, die Gesänge nicht nur auf dem Kalvarienweg, sondern auch in ganz Niederlitauen zu singen. Die Gesänge wurden noch populärer, als eine neue Tradition entstand – während einer Prozession in die Berge zu ziehen. Bald wurde der Leidensweg durch Wunderfälle bekannt. 1843 erklärte die Bischofskommission Gardai zu einem wundersamen Ort.  

Die Gottesanbeter beginnen den Bergweg von der ersten Kapelle an, die „Das letzte Abendmahl“ heißt. Dann machen sie eine Runde und besteigen den Berg des Hl. Johannes (Ölberg), danach kehren sie am Flüsschen Cedronas vorbei zurück zur ersten Kapelle. Von dort geht es zur Doppelkapelle „Bei Kajaphas“ und „Im Gefängniss“. Danach begeben sie sich in Richtung des Friedhofes zum Birkenhügel (Moria), dann zur achten Kapelle „Bei Erodus“. Nach der achten Kapelle gehen sie von der zehnten Kapelle „Im Rathaus“ auf den Kreuzweg bis zum Hügel Golgota. Der Kreuzweg verläuft also auf einer gebogenen Linie. 16 Kapellen stehen am linken Ufer der Varduva, drei – am rechten. 

Die Kapellen sind in der hügeligen Gegend des Städtchens verteilt. Ihre Architektur ist überwiegend volkstümlich, sie sind mit der lokalen Landschaft verschmolzen. Die Innenwände der Kapellen sind mit monumentalen Malereien verziert. Die Formen der Altäre haben sich vom 17.- 20. Jh. ständig verändert. Die Kapellen sind in ihrer Gestalt typisch für die polnischen Kalvarien des 17.-18. Jh. Die meisten Kapellen haben einen quadratischen Grundriss. Dreizehn Kapellen sind aus Holz. Die dritte Kapelle, die auf dem Hügel des Hl. Johannes steht, unterscheidet sich von den anderen. Sie hat einen rechteckigen Grundriss, eine dreieckige Apsis und einen Turm. Einzig die Doppelkapelle „Bei Kajaphas“ und „Im Gefängnis“, wie es sich für die meisten Kalvarien gehört, hat einen rechteckigen Grundriss und in ihrem Inneren zwei Räume, die untereinander durch einen breiten Übergang verbunden sind.  

Die Pilatus-Rathauskapellen sind in meisten Fällen die schönsten und größten der Kalvarien. In Žemaičių Kalvarija ist dies die aus Feldsteinen gemauerte Kapelle „Im Rathaus“ im neugotischen Stil. Die Rathauskapellen sollten die Gottesanbeter an das Pilaturhaus in Jerusalem erinnern, deshalb waren sie auch mehr verziert. Die größte und wichtigste Kapelle in Žemaičių Kalvarija ist die siebzehnte aus Holz gebaute Kapelle, die traditionell „Kryžiauninkė“ genannt wird. Sie steht auf dem Hügel Golgota, der hier Kryžiauninkė-Hügel genannt wird. Die Kapelle ist eine Nachahmung des lateinischen Kreuzes und wird symbolisch mit dem Kreuz verglichen, an dem Jesus gestorben ist. Die Kapelle ist ein typisches Beispiel niederlitauischer volkstümlicher Holzarchitekturbauten ohne besondere äußerliche Schmuckelemente. Nachdem die Gottesanbeter die Kapelle betreten haben, sehen sie ein dramatisches Bild einer Szene um die Trauer-Ereignisse von Christus in kräftigen Farben. In dieser Szene sind auch die Gottesmutter und Maria Magdalena, der Hl. Johannes, zwei mit Christus gekreuzigte Bösewichte, Judas, der Krieger Liongin, der Christus an der Seite mit einem Speer verletzte, die Frauen von Galiläa mit Kindern und viele andere Figuren des Evangeliums abgebildet.   

Die große Szene monumentaler Malerei entstand 1906-1911. Sie wurde von Kazimieras Varnelis aus dem Städtchen Alsėdžiai geschaffen. Die hügelige Landschaft von Žemaičių Kalvarija sollte symbolisch an das hügelige Jerusalem erinnern. Die meisten Kapellen sind auf den Hügel konzentriert: die Kapelle des Hl. Johannes, von Žvizdrai, von Beržai, von Kryžiauninkė und die Kapelle der Hl. Elena. Im Osten befindliche Hügel des Hl. Johannes mit der dritten Kapelle drauf entspricht dem Ölberg in der heiligen Stadt. 

Der weiter westlich gelegene Žvizdrų-Hügel mit der ersten Kapelle symbolisiert den Berg Zion in Jerusalem. Zum Territorium der Hügel gehört auch die siebente Doppelkapelle. Der Beržų-Hügel am Friedhof mit der zehnten Kapelle erinnert an den Hügel von Moria in Jerusalem, und die zwei nebeneinander gelegenen Hügel – an den Hügel Golgota der heiligen Stadt. Also entspricht die Planung der Hügel von Žemaičių Kalvarien mehr oder weniger der Planung Jerusalems. In Žemaičių Kalvarien gibt es auch den Cedron- oder anders genannt – den Pagardenis, einen Bach, der in den Fluss Varduva mündet.

Einer der Hauptakzente des Heiligtums von Žemaičių Kalvarija ist die 1988 erbaute weiße Basilika von Žemaičių Kalvarija. Das ist schon die vierte Kirche, die 1780–1822 erbaut wurde. 1896 kam es in dieser Kirche zu einem Brand. Hunderte von Büchern, Archivdokumenten, das Buch, in dem die Wunder von Žemaičių Kalvarija beschrieben waren, sind damals verloren gegangen. Nach dem Feuer wurde die Kirche 1897–1902 nach dem Entwurf des Architekten Piotr Serbinovič rekonstruiert und erhielt ihre heutige Gestalt. Die Kirche hat Formen des Übergangs vom Barock zum Klassizismus, mit zwei neubarocken Türmen. Die Kirche besteht aus drei Schiffen, die durch Säulen getrennt sind. Im Innenraum dominieren vergoldete Elemente: Es gibt neun vergoldete Altäre, im größten von ihnen steht ein Bild der Hl. Jungfrau Maria. Die Gläubigen behaupten, dass das Bild magisch sei.   

Beeindruckend ist die mit vergoldeten Details dekorierte Orgel der Basilika, die eine der größten Orgeln Niederlitauens ist. Das Äußere der Orgel ist majestätisch, der Klang – tief und kraftvoll. Diese Orgel ist ein interessantes romantisches Musikinstrument, eines der letzten Werke des Vilniusser Orgelmeisters Juozapas Radavičius. Die Orgel verfügt über zwei Handtastaturen und eine Pedaltastatur mit 25 Stimmen. Der wichtigste Akzent eines jeden Sonntags in Žemaičių Kalvarija ist der aus der Kirche herausdrängende einzigartige Klang der Gesänge und das Glockengeläut, welches das Städchen Žemaičių Kalvarija in der Sonntagsruhe mit sakraler Stimmung umhüllt.   

Der Stolz des Heiligtums von Žemaičių Kalvarijos ist die Prozession der Ablassfestes, das jedes Jahr vom 1.–12. Juli stattfindet. Dieses Ablassfest hat die archaischen niederlitauischen Traditionen erhalten und versammelt immer eine Menge von Gottesanbetern. Der Weg ist fünfeinhalb Kilometer lang und windet sich zwischen Bächen, Teichen, teilweise auch Friedhöfen. Hat man einmal an dieser Prozession teilgenommen, bleiben die Erinnerungen ein Leben lang.