Der Palastkomplex befindet sich im Zentrum der Altstadt von Vilnius in der Nähe des Rathausplatzes. Die repräsentative Fassade des Westgebäudes ist eine der auffälligsten in der Didžioji-Straße. Die Architektur zieht die Blicke der Passanten auf sich. Das Gebäude wurde in den Epochen der Gotik und der Renaissance geformt, trägt Züge des Spätklassizismus und besticht durch wertvolle Elemente des Empire-Stils in der Innenausstattung.

Beschreibung

Die Didžioji-Straße ist eine der ältesten und bedeutendsten Straßen von Vilnius. Auf ihr verlief der Weg der Herrscher, hier wurden das Rathaus, die Kirche des Hl. Kasimir, orthodoxe Kirchen sowie Paläste der Adligen errichtet und die für die Stadt notwendige Infrastruktur entwickelt. Die Straße beginnt am Chodkiewicz-Palast.

Die Familie Chodkiewicz ist eine der bekanntesten, reichsten und einflussreichsten litauischen Adelsfamilien mit Wurzeln in Weißrussland, deren Nachkommen bis heute unter uns leben. Seit dem 14.-15. Jh. waren die Chodkiewicz als kluge und mutige Kriegsherren und Diplomaten sowie treue Verteidiger der Interessen des Litauischen Großfürstentums bekannt. Sie heirateten sogar in die regierende Dynastie der Gediminen und Jagiellonen ein. In historischen Quellen wird der Name Chodkiewicz relativ spät erwähnt – erst im 15. Jh., als ihr Vorfahr Chodka Jurjevicz, der damalige Älteste von Polozk, 1422 Zeuge der Unterzeichnung des Friedensvertrags vom Melnosee mit dem Deutschen Orden wurde. Es wareine große Leistung für einen Orthodoxen, den Beamtenstatus zu tragen, denn nach den Privilegien von 1387 und 1413 durften nur die Adeligen des katholischen Glaubens als Beamten des Staates dienen.

Die Familie Chodkiewicz war ursprünglich orthodox, später neigten sie zum Calvinismus und wurden letztendlich eifrige Katholiken. Sie unterstützten aktiv die katholische Kirche in Livland, finanzierten großzügig viele Kirchen und Klöster des Großfürstentums Litauen, kümmerten sich um die Orthodoxen und Uniten. In ihren Hauptresidenzen verfügte die Familie über große Sammlungen wertvoller Kunstwerke, umfangreiche Bibliotheken und für die Geschichte des Staates wichtige Archive.

Der Chodkiewicz Palast ist ein Gebäude des Spätklassizismus, das von der Gotik und der Renaissance beeinflusst wurde und in seinem Interieur wertvolle Fragmente des Empire-Stils bewahrt hat.

Das Dach Palastes ist mit Tonziegeln gedeckt und seine Bauten sind im ganzen Viertel zwischen der Bokšto-Straße und der Didžioji-Straße verteilt und verschließt die Perspektive aus Blickrichtung des Kathedralenplatzes. Nördlich des Palastes gibt es an der orthodoxen Kirche der Hl. Märtyrerin Paraskeva einen dreieckigen Platz, der heutzutage bei Malern besonders beliebt ist. Die westliche Hauptfassade an der Didžioji-Straße ist leicht gebogen. An der Bokšto-Straße befindet sich das rechteckige Offizingebäude und der -nordöstliche Korpus. Die Fassaden der Bauten verbinden sich mit den anderen Fassaden der Bokšto Straße. Die Offizin und andere Gebäude umgeben einen geräumigen, geschlossenen Hof, der zu beiden Straßen je eine Zufahrt hat und auf diese Weise eine Verbindung schafft. Der westliche Korpus hat zwei Flügel in U-Form. Der Palast ist dreistöckig, die Offizin aber hat zwei Stockwerke. Die Innenräume der Offizin sind zum größten Teil in zwei Reihen angeordnet, ein Teil davon sind Durchgangsräume. Die Untergeschosse an der Didžioji-Straße sind im gotischen Stil wie auch die nordwestliche Wand des Gebäudes. Die Fundamente sind aus Steinen, die Wände aus Ziegelmauerwerk, verputzt. Die Gewölbe des Untergeschosses sind zylindrisch und kreuzartig.

An der Fassade des Palastes domminierende horizontale Linien deuten davon, dass dies die Spätform des Klassizismus ist. Der mittlere Teil der Hauptfassade steht leicht hervor: Er wird durch das Fronton und den ersten Stock betont.  

Unter dem Balkon gibt es eine Einfahrt. Das Erdgeschoss ist durch halbkreisförmige Bogennischen mit rechteckigen Fenstern unterteilt. Die Fenster im zweiten Stock haben Zierleisten und geradliniges Gesims, die Fenster im mittleren Teil – dreieckiges Gesims. Die Fenster im dritten Stock haben ebenfalls Zierleisten, die an die rechteckigen Nischen grenzen. Unter dem Dach ist das Gebäude von Gesims umgeben, das von einem S-förmigen Kragstein gestützt wird. Die Stockwerke sind durch Bänder voneinander getrennt.

Alle Fassaden des westlichen Gebäudes haben einen niedrigen Giebel mit elliptischen oder halbkreisförmigen Fenstervertiefungen. Auf den Fassaden des westlichen Korpus und der Gebäude des Flügelhofes wiederholen sich die Dekorelemente der Hauptfassade: Im Erdgeschoß dominieren halbkreisförmige Bogennischen mit rechteckigen Fenstern, im zweiten Stock gibt es über den Fenstern  hervorstehende lineare Elemente. Dachgesimse mit Vertiefungen. Der Zaun des Balkons an der Mitte der Hauptfassade ist mit Empire-Stil mit Kränzen und gekreuzten Pfeilen verziert. Die Enden der Kragsteine, die die Metallbalkone halten, enden mit Skulpturen der Köpfe von Mann und Frau. Das Interieur des zweiten Stockwerks ist mit polychromen Gemälden im Empire-Stil mit Pflanzenmotiven dekoriert. Die Fassade des Offizinhofes ist symmetrisch und auch im Stil des Spätklassizismus gehalten. Das Erdgeschoß der Fassade des Offizingebäudes an der Bokšto-Straße ist gemustert, mit rechteckigen Fenstern und Segmentbögen in den Nischen. Das gesamte Dachgeschoß ist von einem breiten Gesims umgeben. 

Schon im 16. Jh. standen auf dem Territorium des Palastes Gebäude aus Mauerwerk. An der Wende vom 16. zum 17. Jh. hat die Familie Chodkiewicz an ihrer Stelle eine Residenz mit einem Innenhof und Türmen gebaut. Mehr als dreihundert Jahre wohnten dort mindestens acht Generationen des Zweiges Suprasliai der Familie Chodkiewicz. Im Jahre 1600 wurde der Palast wegen einer bewaffneten Auseinandersetzung mit der Familie Radziwiłł berühmt. Es ging um die Mitgift der letzten Fürstin von Sluzk, Sofija Olelkaitė. Damals hat der damalige samogitische Älteste Jonas Karolis Chokiewicz im Palast die Armee seiner Alliierten mobilisiert. Man sagt, dass damals sogar Artilleriekanonen gebraucht wurden, als sich die Familien Chodkiewicz und Radziwiłł von Ihren Palästen gegenseitig beschossen. 1611 kaufte der Kastellan von Vilnius Jeronim Chodkiewicz noch ein Haus, das in der Nähe von der Kirche der Hl. Märtyrerin Paraskeva stand. Sein Sohn Kristupas, der damalige Marschall des Obersten Gerichtshofes des Großfürstentums Litauen und der Woiwod von Vilnius, kaufte die benachbarten Besitztümer und baute den Palast aus.

Im 17.-18. Jh. wurde der Palast erweitert und nach Bränden und Kriegen mehrmals umgebaut. 1754-1762 wurde der Palast nach dem Entwurf des Architekten A. Vireneris rekonstruiert, 1825-1834 erfolgte ein weiterer Umbau – höchstwahrscheinlich durch den Architekten Tomas Tišeckis. Damals gab es im Palast 33 Säle und Zimmer, die später nach der Erneuerung auch vermietet wurden. 

1812 war im Palast die sich zurückziehende Armee Napoleons stationiert. Der Palast wurde der Universität Vilnius übergeben. 1834 zog hier die Akademie für medizinische Chirurgie ein, 1841 – die Kanzlei des Bildungsbezirks Vilnius. Ein Teil des Palastes wurde umgebaut, die geräumigen Säle wurden aufgeteilt, Wohnungen eingerichtet. 

Während des Krieges und in der Nachkriegszeit wohnten im Palast Professoren der Universität: der Ökonom und so genannte „Vater des Litas“ Vladas Jurgutis, der Philosoph Vosylius Sezeman, der Dichter Kazys Binkis, der Schriftsteller Kazys Boruta, die Theatrologin Irena Veisaitė und andere prominente Persönlichkeiten aus den Bereichen Kultur, Kunst und Wissenschaft. Die größte Überraschung ist der Geheimraum von Lev Karsavin, den die Familie des Philosophen 1944 im Kellergeschoß eingerichtet hat. Lev Karsavin (1882-1952) war ein weltweit bekannter Mediävist, Kultur-Historiker, Rektor der Universität St. Petersburg und wurde nach der Oktoberrevolution von den Bolschewiki aus Russland vertrieben. Viele Jahre hat er an der Vytautas-Magnus-Universität gearbeitet. Während der Sowjetokkupation wurde er 1950 aus Litauen vertrieben. Im Exil verfasste er etwa 20 Werke der Philosophie und poetische Werke.  Der „Kranz der Sonette“ und die „Terzinen“ sind erhalten geblieben. In seinen Werken hat der Autor grundlegende philosophische Thesen auf poetische Weise ausgedrückt. Lev Karsavin starb im Exil. Er sagte, die Kultur und ihre Geschichte seien ein Ausdruck der Spiritualität im Werk des Menschen, untrennbar mit der Religion verbunden. Die Erkenntnis des Menschen beginnt mit einem Überraschungsgefühl.

Seit 1994 befindet sich im Westkorpus des Chodkiewicz-Palastes die Gemäldegalerie Vilnius. In den anderen Gebäuden befinden sich die Verwaltung des Litauischen Kunstmuseums, eine Bibliothek, das Archiv und Lagerräume für Kunstwerke.